(17) ein Tag als Rennradfahrer
Letzte Nacht schlief ich ziemlich schlecht, was mir nach grösseren Anstrengungen schon mal passiert. Ausserdem träumte ich ganz abstruse Geschichten. Als ich dann gegen halb acht Uhr aufstehen wollte, waren meine Beine ziemlich hart und gefühllos. So fiel es mir leicht, eine Strassenroute ins Auge zu fassen.
Bis zum Mittag wollte ich nach Arezzo und am Nachmittag dann schauen, wie weit in Richtung Lago di Trasimeno ich noch kommen würde. Das Frühstück war gut und reichlich, die Sonne schien bereits kräftig und es kündigte sich ein heisser Tag an. Bis nach Arezzo sind es nur knapp 40 Kilometer und die Strasse führt meist leicht bergab, so dass ich lange Zeit auf dem grossen Kettenblatt fahren konnte.
Gegen halb zwölf Uhr war ich dann in Arezzo und machte Bike-Sightseeing. Hier wurde der Film "La Vita e bella" gedreht und auch Karin hat mir erzählt, dass die historische Innenstadt ganz reizend sei. Und wahrhaftig, sie hat nicht zu viel versprochen. Eine Mischung aus Lucca und Siena. Vor allem die Piazza Grande ähnelt sehr dem Hauptplatz von Siena. Zwar etwas kleiner, doch genauso schief abfallend und umgeben mit schönen, mittelalterlichen Bauten. Ich versuchte mich vor dem Ratshaus per Selbstauslöser abzulichten, bevor ich mich in eines der schmucken Caffees setzte und eine Kleinigkeit zu mir nahm.
Natürlich hatte es wieder ziemlich viele Touristen und natürlich war ich dann doch nicht so angetan von der Vorstellung, ein Stadthotel zu belegen. Beim Kaffee studierte ich deshalb die Karte und merkte, dass es bis zum Lago die Trasimeno auf direktem Weg nur noch etwa 50 Kilometer sind, was durchaus zu schaffen sein sollte. Deshalb entschloss ich mich schon bald wieder aufzusitzen und loszufahren.
Am besten wäre ich nach Himmelsrichtung gefahren, doch da der direkte Weg entlang einer Hauptstrasse führt dachte ich, dass ich vorerst einmal den Schildern "tutto le direzione" folge und so die richtige Strasse erwische. Dem war aber nicht so. Tutto le direzione führte mich einfach einmal rund um den Ortskern und als ich das bemerkte bog ich voll falsch ab. Natürlich merkte ich das nicht sofort und dann dachte ich, dass das schon noch zu korrigieren sei. Urplötzlich befand ich mich aber auf einem Autobahnzubringer in dichtem Verkehr. Mist. Wenden. Wo bin ich denn nun? Natürlich wusste meine 1:600'000er Karte nichts von den angeschriebenen Vororten und so dauerte es eine ganze Weile, bis ich den Faden wieder gefunden hatte. Ich bin eine Stunde, oder 20 Kilometer, durch Vororte von Arezzo gefahren, bis ich entlich einen Wegweiser mit der gesuchten Aufschrift "Cortona" fand. Das wäre nicht nötig gewesen. Schon gar nicht in der grössten Mittagshitze. Na ja, sich ärgern bringt nichts. Mir wurde einfach wieder einmal bewusst, weshalb ich am liebsten nach vorgefertigten GPS-Tracks fahre...
Es folgten fast endlose, gerade Strecken mit leichten Wellen. Ziemlich starker Autoverkehr verlangte eine konzentrierte Fahrweise und so starrte ich fast nur vor mich hin auf die Fahrbahn. Dennoch registrierte ich, dass sich eine Gewitterfront zusammenbraute und der Wind stärker wurde und dauernd die Richtung änderte. Kurz vor Castiglion Fiorentina hielt ich noch kurz an um mit einem Coca Cola meinen Zuckerspiegel anzuheben, wobei ich noch das nebenstehende Foto des eindrucksvollen Castellos machte.
Der Zuckerstoss hat nicht wirklich lange angehalten und so begann ich auf den letzten Kilometern bis an den Lago di Trasimeno noch ziemlich zu leiden. Insgesamt hatte ich wohl zu wenig gegessen und getrunken, das Hirn wurde träge und so bin ich an der Abzweigung in Richtung Passignano sul Trasimeno prompt vorbei gefahren. Das merkte ich erst, als der See zu meiner linken lag, was eigentlich falsch ist, denn auf dem Weg nach Passignano sollte er auf der rechten Seite sein. Der See war schon richtig, doch ich war falsch... Also umdrehen. Auf dem nächsten Schild stand dann "Passignano s.T. 11 km." Hart. Das stehe ich ohne Verpflegung nicht durch.
Beim nächsten Tankstellenshop machte ich deshalb halt und kaufte gleich zwei Brötchen, eine Tafel Schokolade, eine Cola und eine 1,5l Flasche Wasser. Beim Bezahlen erschrak ich dann ganz gewaltig. Wo ist meine Identitätskarte?... Die liegt noch im Hotel in Poppi! Nein, das darf doch nicht wahr sein! Ich bin jetzt über 100 Kilometer weiter südlich und nun das! So eine Sch....e !
Was tun? Ich telefonierte mit Karin und bat sie, im Hotel in Poppi anzurufen und zumindest einmal zu klären, ob die ID noch da ist. In der Zwischenzeit versuche ich in Passignano ein Hotel zu finden, wo ich mich ohne ID einchecken kann, was jedoch in Italien nicht ganz einfach ist. Bisher musste ich die Karte immer kurz abgeben und die Hotelbetreiber notierten sich viele Angaben davon, weil der Staat das so verlangt. Um nicht lange nach einem Hotel suchen zu müssen, fuhr ich direkt vor das Tourismusbüro von Passignano und liess mir von da ein Zimmer ganz in der Nähe buchen, wo ich dann hin fuhr.
Der Hotelier konnte zum Glück etwas englisch und so versuchte ich ihm meine missliche Lage zu erklären. Der Herr war sehr hilfsbereit und telefonierte mit dem Hotel in Poppi, damit diese ihm eine Kopie der Karte zufaxen würden, denn ohne diese Angaben könne und dürfe er mir kein Zimmer geben. O.K.
Ich warte. In der Zwischenzeit hatte Karin eine gute Idee, wie ich in nützlicher Frist wieder zu meiner ID komme. Mit dem Zug zurückreisen ist wohl die schnellste Möglichkeit. Das besprach ich mit dem Hotelier, der in der Zwischenzeit das gewünschte Fax erhalten hatte (in fast unbrauchbarer Qualität). Er fand das auch eine gute Idee obgleich er bezweifelte, dass ich nach Poppi mit dem Zug komme. Er hatte aber online-Zugriff auf die Fahrpläne der italienischen Bahnen und klärte alle Möglichkeiten ab. Ja, o.k., das geht. Ich solle zur Bahnstation und ein Ticket kaufen. Wenn ich das hätte, rufe er nochmals im Hotel in Poppi an und bestelle dann jemand mit der ID an den Bahnhof. Gute Idee und sehr lieb von dem Mann.
Ich fuhr also schnell zum naheliegenden Bahnhof und wollte ein Ticket kaufen. Da konnten sie mir jedoch nur ein Ticket bis Arezzo verkaufen, da von da weg eine Privatbahn nach Poppi fahre und davon habe er keine Tickets. Nun ja, schon mal das (es lebe die Privatisierung!). Wieder im Hotel checkte der Hotelier ein letztes Mal die Zugverbindung. Acht Minuten Umsteigezeit würden mir nicht reichen, wenn ich in Arezzo zuerst wieder ein Bahnticket kaufen müsse, da suche er lieber etwas Passenderes. Er gab sich unglaublich Mühe und schrieb mir zum Schluss alle Verbindungen auf einen Zettel. Dann telefonierte er mit dem Hotelier in Poppi. Dieser war scheinbar nicht begeistert, dass er die ID an den Bahnhof bringen sollte, doch nachdem der nette Mann kurz richtig laut wurde, war alles klar.
Ich müsse morgen um 14:08 in Passignano losfahren und sei dann kurz nach 20 Uhr wieder zurück. Uff! So schien das Problem entschärft. DANKE! Bis ich dann geduscht war und wieder vor das Hotel trat, wurde es bereits dunkel. Ich speiste lecker Pasta in einem kleinen Restaurant und genehmigte mir sogar ein Glas Wein dazu. Die Leistungsdaten des GPS interessierten mich nur noch am Rande doch als ich im Hotel den PC anwarf, fand das Netbook sogar ein Wireless-LAN. Das ist ja ausgezeichnet! Ein super hilfsbereiter Hotelier, ein ruhiges Zimmer mit Klimaanlage und erst noch Internetzugang. Und das für 45 Euro die Nacht. Somit kann ich das Hotel Trasimeno in Passignano sul Trasimeno also wärmstens empfehlen! Nun war alles wieder halbwegs in der Reihe und so fand dieser Tag auch noch ein gutes Ende. Das GPS sagt: 130 km., 6:14 Std., 720 Hm.