Samstag, 25. Juni 2011
(12) Theorie und Praxis...
Theorie und Praxis ist oft wie Marx und Murks. Das stellte ich in den letzten tagen wiedereinmal fest. Während ich zuhause mein Route für die Sommerreise zusammenklickte erlebe ich nun, wie die Praxis ausschaut. Während der Planung dachte ich noch, dass weg von grösseren Ortschaften das Richtige sei. Nun stelle ich jedoch fest, dass ich lieber in einem Hotelbett schlafe als irgendwo in freier Wildbahn campiere. Hotels/Albergos oder Agriturismos gibt es aber vor allem in Ortschaften mit mehr als 100 Einwohnern und die sind derzeit hier rar. Mit 20 hätte ich das vielleicht noch lustig gefunden, mit fast 48 ist das jedoch nicht mehr so mein Ding. Zumal die Hygiene so zwangsläufig leidet und ich bin nunmal nicht der Typ, der gerne stinkende Kleider trägt. Auch ein richtiges Klo hat Vorteile, wenn man den ganzen Tag im Sattel sitzt.
Zudem unterschätzte ich, dass es auch hier auf über 1'500 Metern über Meer teils noch empfindlich kühl ist. Ja ich weiss. Es wird noch so heiss werden, dass ich mich an diese Tage gerne zurückerinnern werde, doch derzeit hätte ich es gerne etwas wärmer.In der ersten Woche war ich sechs Tage unterwegs und fuhr dabei 610 Kilometer mit knapp 4'100 Höhenmetern. Das fand ich sehr angenehm und dachte mir deshalb, dass ich diesen Rhythmus, 6 Tage fahren, 1 Ruhetag beibehalten möchte. In der zweiten Woche bin ich nun fünf Tage unterwegs, 550 Kilometer und etwas über 10'000 Höhenmeter. Wenn ich die kommende Route anschaue, geht es munter so weiter. Die grosse Lust, morgen wieder an die 2'000 Höhenmeter zu fahren, ist momentan etwas weg.
Ich unterschätzte auch, dass ich zeitweise wirklich durchs Niemandsland fahre und deshalb stets genügend zu essen und zu trinken dabei haben muss. Gerade gestern, als ich wild zelten musste, hätte ich gerne mehr als ein Energieriegel gegessen und den letzten halben Liter Wasser getrunken.
Gesundheitlich geht es mir trotz den Anstrengungen aber dennoch sehr gut. Weder die befürchteten Sitzbeschwerden, noch einschlafende Hände sind bis jetzt ein Thema. Sitzcreme und Lenkerhörnchen sei Dank! Einzig im Nacken bin ich etwas verspannt und natürlich habe ich schwere Beine, was aber alles noch im grünen Bereich liegt.
Nach dem Rumgejammer noch kurz zum heutigen Tag.
Kurz nach sechs Uhr war fertig mit schlafen und ich kroch etwas zerknittert aus dem Zelt. Es blieb noch ein Energieriegel und etwa 2dl Wasser - da habe ich doch schon besser gefrühstückt...
Das Aussenzelt war wieder nass von Kondenswasser und so wollte ich es nicht einpacken. Ich legte es auf dem Ferienhausvorplatz aus und versuchte es so gut wie möglich mit einem Lappen zu trocknen. Dann packte ich den übrigen Kram zusammen. Mittlerweile hatte ich nur noch verschwitzte Bikekleider... auch viele andere Kleidungsstücke waren leicht feucht. Ich zog das noch brauchbarste Set an und band mir ein Set oben auf die Packtaschen. Da diese plastifiziert und wasserdicht sind, trocknet in den Taschen ja gar nichts. Bis ich endlich abfahrbereit war, war es kurz vor acht Uhr. Der Himmel war wolkenverhangen und es war ziemlich frisch.
Ich entschied mich im nächsten Dorf ein Einkaufsgeschäft zu stürmen und mir erstmal die Kalorien einzuverleiben, die ich gestern verbrannte. Das hat zum Glück auch wunderbar funktioniert, denn schon noch etwa 20 Minuten erreichte ich ein kleines Dorf mit einem offenen Mercato. Mit 2 Sandwiches, 2 Pfirsiche, 2 Bananen, eine Tafel Schokolade, ein Pack Guetsli, ein Jogurt und einer 1,5l Flasche Eistee bewaffnet setzte ich mich direkt vor dem Geschäft auf eine Bank und futterte was ich konnte. Währenddessen überlegte ich mir, wie ich weiterfahren soll und studierte dazu die Karte.
Ich entschied mich möglichst direkt auf meine Route zurückzukehren und einfach weiter dieser violetten Linie auf dem GPS zu folgen. Nach ziemlich genau 20 Kilometern tauchte diese dann auch im Display auf und ich war somit wieder auf Kurs. Und auf Kurs zu sein heisst auch, dass es gleich wieder kräftig berghoch geht. Und weil die Berge nun immer etwas höher werden, ging es heute bis auf etwas über 1'600 Metern über Meer, was an die drei Stunden Bergfahrt hiess. Um dem noch einen draufzusetzen stand ein Schild am Strassenrand 12% Steigung auf 4 Kilometer. Hart. Mit 20 Kilo Gepäck noch härter.
Auf der Passhöhe wurde ich wenigstens mit einem grossen Rifugio belohnt, wo bestimmt ein dutzend Motorräder draussen standen. offen hat es, nur weshalb sitzt niemand draussen? Weil es nur etwa 12° Grad "warm" war und eine steife Brise wehte. Deshalb betrat ich ich die Gaststube und gönnte mir eine feine Portion Spaghetti alla Bolognaise.
Auf der Abfahrt schlotterte ich und als auf knapp 1'000 Metern über Meer mein GPS schon wieder bergwärts zeigte, hängte ich ab. Nein! Ich will weiter nach unten. Ich will Sonne und Wärme. Es ist übrigens wirklich eindrücklich, wie der Apennin eine Wetterscheide bildet. Auf der Nordseite war es oft stark bewölkt und kühl, während es auf der Südseite sonnig und warm war. Nun fuhr ich südwärts und ich fuhr einfach an der Abzeigung vorbei. In den Süden, in die Sonne und in die Wärme.
In Castelnuovo suchte und fand ich ein schönes kleines Hotel mit einem freien Zimmer. Draussen hat es sogar einen Pool, doch ich hatte (leider) keine Zeit, diesen zu benutzen. Ich leerte alle Packtaschen und machte mich an die grosse Wäsche. Eine Stunde später waren alle Kleiderbügel aufgebraucht und der Balkon glich einem Trocknungsraum. Bei Temperaturen um 28° Grad (herrlich!) sollte bis morgen alles trocken sein.
Ich weiss noch nicht genau, ob ich morgen wieder in die Berge, zurück auf meine Route fahre oder ob ich gemütlich bis nach Lucca fahre (ca. 50km) und da einen Ruhetag einlege. Im Lucca waren Karin und ich vor ziemlich genau 10 Jahren und das kleine schmucke Städchen hat uns sehr gut gefallen. Da würde ich gerne nochmals hin.
Entschieden wird erst morgen nach dem Frühstück. Ich lasse Theorie mal Theorie sein und mache mir dann einen prktischen Sonntag... Das GPS sagt: 80km. 5:03 Std., 1'600 Hm.
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Kommentare
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akerets am :
Dein Blog liest sich super! Wir fühlen mit Dir! Vor allem das mit dem Zelten.. Autsch!! Ja, Italien im Sommer tönt ja nun wirklich nicht nach 12 Grad. Aber in den Bergen solls ja überall gleich sein.... Wir wünschen Dir weiterhin einen guten Ritt und freuen uns jetzt schon wieder von Dir zu lesen. Wir hoffen, dass Du Dich heute Morgen für Lucca entschieden hast, hast Dir einen Tag Auszeit nun wirklich verdient.
Saluti e Baconi
Akerets
Beat Utzinger am :
Das tönt wirklich tough! Das von Dir aufgeschaltete Profil der Route hat mich von Anfang an beeindruckt. Je weiter Du wahrscheinlich Richtung Süden kommst, wird es schwieriger einzukaufen und Du würdest einen Kocher und Pfanne benötigen, um zu essen (alleine macht dies wahrscheinlich nicht so viel Spass)!
Bin gespannt wie es weiter geht.
Alles Gute
Beat (Geri und ich sind gestern den Irchel gebiked und da haben wir natürlich an Dich gedacht!)
Spoony am :
Ich lese hier mit Interesse mit und freue mich, dass Du so ausführlich deine Abenteuer beschreibst. Hut ab vor dieser Leistung und da erstaunt es nicht, wenn du mal einen 'Durchhänger' hast. Ob Berg oder Tal, ich wünsche dir weiterhin viele schöne Stunden. Der Weg ist das Ziel... denke ich mir!
Remy am :
Deine Reiseberichte sind spannender als Tagi, NZZ, Blick, Tageschau und 10vor10 zusammen! Vielleicht solltest Du nach Deinem Velo-Abenteuer Reisejournalist werden?!
Ist echt toll, was Du leistest und wie Du uns die ganze Reise miterleben lässt!
Ich wünsche Dir weiterhin viel Energie, Zuversicht und gute Laune...und wieder einige erholsame Etappen!
Ich freue mich auf Deine nächsten Berichte.
Toi, toi, toi
Remy
Monika Gammeter am :
ist ja wirklich hammermässig was Du da leistest. Die schönen Bildli machen einem auch so richtig gluschtig, aber das Höhenprofil... na, auf alle Fälle wünsche ich Dir weiterhin eine unfallfreie Fahrt und viele schöne Erlebnisse!
John am :
Ivar&Jitka am :
peter am :
tolle Sache das du dir die Zeit nimmst und deine Reise dokumentierst. So kommt auch bei mir ein wenig Ferienstimmung auf.
Wäre toll, wenn du jeweils deine aktuelle Position* auf Google Maps anzeigen könntest.
* natürlich einmal pro Tag aktualisiert
Gruss,
Peter