Freitag, 24. Juni 2011
(11) Zwei Pässe pro Tag
Der Morgen verlief dann ganz nach Plan. Von Bedonia ging es die ersten 15 Kilometer stets leicht abwärts, was ideal war um die angemüdeten Beine etwas zu lockern und in Schwung zu bringen. Als dann die Steigung zum ersten Pass folgte, war ich guter Dinge und kurbelte relativ locker hoch. Ich war erstaunt, wie gut ich mich an das über 30 Kilo schwere Bike gewöhnt hatte. Den Kulminationspunkt erreichte ich nach etwa 500 Höhenmetern, was etwas mehr als eine Stunde Bergfahrt bedeutete.
Es folgten 20 Kilometer Talfahrt bis nach Pontremoli, wo ich ideal zur Mittagszeit eintraf. Ich wollte unbedingt eine schöne Portion Pasta essen, denn irgendwie ahnte ich schon, dass ich nachmittags jede Energie gebrauchen kann. Die nebenstehende Trattoria bot dann alles, wonach ich suchte. Zuerst etwas Eiweiss in Form von Trockenfleisch (Salami, Copa, geräucherter und gekochter Schinken) und danach Kohlenhydrate als Linguine ai funghi porchini. Dazu ein kleines Bier und ein Liter Mineralwasser. Das war richtig lecker.
Nach den Wolken am Morgen wurde es nun immer schöner und auf 250 Metern über Meer war es mit etwa 26° Grad auch angenehm warm. Perfekt! Gut motiviert machte ich mich auf zum zweiten Pass. Schon kurz nach Pontremoli steigt die schmale Strasse giftig an und die umliegenden Berge zeigten mir an, dass es jetzt ganz sicher mehr als 500 Höhenmeter geben wird. Der Schweiss begann in Strömen zu fliessen, ich tropfte nur so vor mich hin, was mich scheinbar für Schmeissfliegen sehr attraktiv machte. Zu Dutzenden umschwärmten sie mich und ich kam mir vor wie eine Kuh in den Bergen. Zeitweise zählte ich gegen zehn Fliegen auf einem Handschuh. Na ja, solange sie mir nicht ins Gesicht sitzen ist es nur lästig, denn stechen können sie ja nicht.
Bis zur Passhöhe des Passo del Cirone waren es dann ziemlich genau 1'000 Höhenmeter und oben angekommen musste ich mich in die Büsche schlagen, um trockene Kleider anzuziehen. Denn auch in den Apenninenbergen gilt: Pro 100 Meter Höhe ca. 1 Grad kühler. Bei nun geschätzten 16° Grad wollte ich mich bergrunter nicht verkühlen, denn schon gestern Abend tropfte mir leicht die Nase, was zum Glück heute schon wieder vorbei war. Na ja, so wusste ich nun, weshalb ein Radreiseführer empfahl, drei Set Velokleider mitzunehmen. 1x am Körper, 1x zur Wäsche, 1x Reserve. Ich zückte also die Reserve und machte mich gut gelaunt auf die Abfahrt. Wobei, das mit der Abfahrt war nur ein kurzes Vergnügen, denn schon auf etwa 850 Metern über Meer änderte sich die Richtung wieder.. und zwar berghoch.
Das schätzte ich nun gar nicht und ich machte eine kurze Pause um zu überlegen, was ich tun soll. 75 Kilometer und 1'650 Höhenmeter standen mittlerweile auf dem Tacho. Viel Varianten hatte ich aber nicht, denn weit und breit war keine grössere Ortschaft zu sehen. Meine 1:600'000-Karte bot auch nicht viel an Information. Was soll's.. weiterfahren... immer der violetten Linie im GPS-Display nach. Es ging also wieder berghoch. Ich war irgendwie in einem Skigebiet, denn immer wieder waren Loipenschilder zu sehen und Sessellifte waren angeschrieben. Hmm... die Berge rundherum sind auch nicht kleiner geworden... egal.
Auf etwa 1'200 Meter über Meer war dann plötzlich fertig mit Asphalt und es begann eine ziemlich holprige Schotterstrasse. Ich motiviere mich mit Sätzen wie "weit kann's ja nicht mehr sein" und "wenn ich den erwische, der diese Strecke geplant hat, dann kriegt der aber was zu hören!". Eine gefühlte Ewigkeit später lichtete sich der Wald und unvermittelt kam ich an einen schönen Bergsee. Baden verboten! Das ist ein Fischrevier und man kann die grossen, dicken Fische gleich vom Ufer sehen und ich denke, dass man da kaum eine Angel braucht um so ein Ding zu fangen. Die schmeissen hier wohl immer wieder neue Fische rein...
Gleich daneben, ein Rifugio (eine Berghütte). Davor ein paar 4x4 Autos und drei Motocrossmaschinen, ja, das sind die richtigen Fahrzeuge für die Gegend. Ich will nicht hier übernachten und die umliegenden Berge zeigen auch an, dass ich noch nicht am höchsten Punkt angelangt bin. Ich hätte zwar Hunger, doch mittlerweile ist es schon halb sechs Uhr abends und die Bewölkung hat wieder zugenommen. Ich wollte einerseits von den anwesenden Rifugio-Gästen nicht als Spinner angesehen werden und andererseits möglichst noch ohne Regen eine Unterkunft finden. Deshalb fuhr ich weiter... nochmals 100 Höhenmeter mit grobem Schotter, dann hatte ich es endlich geschafft. Obwohl, bergrunter war der Weg noch fast schlechter und es schüttelte so stark, dass ich zwischendurch anhalten und die gefühllosen Hände ausschütteln musste. Das ist ja wie in guten alten MTB-Zeiten, starr, nur mit den Armen und Beinen als Federung. Ich fuhr extra vorsichtig, denn ein Sturz oder eine Panne in dieser Wildnis wäre das Letzte gewesen, was ich nun noch gebraucht hätte.
Endlich kam wieder asphaltierte Strasse, bis zur Abzweigung Passo Laga???.. Was wieder berghoch? Ich glaubs ja nicht. Welcher Arsch plant denn sowas? Ich denke mir: Weit kann's nicht mehr sein, vielleicht 3-400 Höhenmeter, auf die kommt es nun auch nicht mehr an. Nach etwa 200 Höhenmeter kam dann der Hammer. Die Strasse über den Pass ist infolge Bauarbeiten den ganzen Sommer gesperrt. Nein! Würde ich fluchen, hätte ich ganz grausam geflucht. Ich war nudelfertig, es war mittlerweile 19:30 Uhr und ausser ein paar Ferienhäuser war nichts zu sehen. Auf über 1'000 Metern über Meer war es mittlerweile auch ziemlich kühl (um nicht kalt zu sagen).
Ich entschloss mich umzudrehen und so weit wie möglich auf asphaltierter Strasse runter zu fahren und im erstbesten Rifugio/Albergo/Hotel/Agriturismo/was-auch-immer ein Zimmer zu nehmen. Bloss, so einfach war das nicht. Die Dörfer auf meiner Strecke waren selten mehr als eine Ansammlung von ein paar Dutzend Häusern und die Hälfte davon hatte verriegelte Türen und Fenster (Thema: kalte Betten). Zu allem Ärger fielen dann auch noch ein paar Regentropfen. Nicht das auch noch! Petrus schien mich zu erhören und nach ein paar Minuten war schon wieder Schluss damit. Zum Glück. Meine Zimmersuche musste ich je länger je mehr vergessen. Da gibt es nichts! Davon aber jede Menge...
Ich entschliesse mich deshalb widerwillig wild zu campieren. Nur wo? Hier gibt es kaum eine flache Stelle... Die Lösung ist eines der leerstehenden Ferienhäuser. Möglichst etwas von der Strasse weg, damit mich nicht gleich jemand sieht. Nach etwas suchen wurde ich fündig und wollte schon das Zelt auf dem Vorplatz aufstellen, was aber auch nicht funktionierte. Das Zelt steht nur mit mindestens vier Verankerungspunkten am Boden und der gepflästerte Vorplatz ist nichts für meine Heringe. Auch das noch. Ich schaue rund ums Haus und suche mir die flachste Stelle. Mittlerweile dunkelt es schon ein. Also nicht lange fackeln! Zelt auspacken, aufstellen, Isomatte aufblasen und den Schlafsack bereit machen. Müde, stinkend und verschwitzt verkrieche ich mich ins Zelt. Zum Nachtessen gab es einen Energieriegel mit Wasser. Vor dem Lichterlöschen checkte ich noch kurz das GPS und da wusste ich, dass ich selbst im Zelt gut schlafen werde. Was für ein Tag! Das GPS sagt: 122 km. 8:23 Std., 2'970 Hm.
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