Sonntag, 10. Juli 2011
(27) Aus Bergen werden Hügel
Weil es bestimmt ein heisser Tag geben würde, bin ich schon um acht Uhr in Vinchiaturo losgefahren. Das Tagesbild zeigt den Hauptplatz von Vinchiaturo und den Brunnen, wo ich heute zum ersten Mal meine Trinkflaschen füllte. Wie der Titel schon sagt, liegen nun die grösseren Berge hinter mir und bis zur Adriaküste werden die Hügel kleiner, die Landschaft wird flacher und riesige landwirtschaftliche Anbaugebiete bestimmten heute das Bild.
Erwähnenswert ist der Abstecher an den Lago di Occhio, bei dem ich mich schon während der Planung wunderte, weshalb es keine Strasse entlang des nicht gerade kleinen Sees gibt. In Google Earth entdeckte ich dann doch so etwas wie eine Forststrasse und ich zeichnete munter meine Route da entlang. In der heutigen Praxis war dies dann eine reine Quälerei.
Erstens gibt es so viele Fahr- und andere Verbotsschilder, dass man die wirklich nicht übersehen kann. Zweitens entpuppte sich die Forststrasse als ganz übler Schotterweg, der mit losem Kies und viel Sand nur sehr schwer fahrbar war und damit unglaublich Substanz kostete. Drittens war es zwischen 11:30 und 13:30 Uhr, als ich mich da abmühte bestimmt 35° Grad heiss und viertens folgt zum Schluss ein etwa 450 Höhenmeter langer Anstieg, der vorwiegend an der prallen Sonne zu bewältigen war. Meine zwei Liter Wasser schmolzen im Nu auf etwa 3 Deziliter, bis mir bewusst wurde, dass ich wohl länger noch keine Wasserstelle finden würde und ich mir das mittlerweile auch 30° Grad warme Wasser sehr gut einteilen muss. Das war eine echte Schinderei und in Zukunft hoffe ich, solche Planungsfehler frühzeitig zu erkennen und auszulassen. Endlich in der nächsten Ortschaft plünderte ich eine Bar um mich etwas zu erholen und meine Speicher wieder aufzufüllen.
Die Geschichte des Tages kam eigentlich ganz zum Schluss. Obwohl es bis zum Meer keine 20 Kilometer mehr waren, entschied ich mich schon vorher ein Hotel zu suchen, denn ich erinnerte mich, dass es an der Stelle, wo ich dann ans Meer komme, auch nicht gerade von Hotels wimmelt und auf dem Tacho hatte ich schon einiges mehr als 100 Kilometer. Zudem erkannte ich schon von Weiten das Hügeldorf Serra Capriola (lustiger Name). Bisher machte ich ja nicht gerade tolle Erfahrungen, was die Kombination von Hügeldorf und Hotel anbelangt, deshalb entschied ich schon sehr früh, Einheimische nach einer Unterkunft zu fragen.
Ich komme also in den schmucken Ort, biege von der Hauptstrasse in eine kleine Seitengasse ab und sehe vor einem Hauseingang drei Frauen sitzen. Ich schätze mal Tochter, Mutter, Grossmutter. Ich denke mir, dass dies eine gute Kombination ist, denn die kennen den Ort bestimmt schon lange und gut. Auf meine Frage nach einer Unterkunft zeigen sie auf das Haus direkt gegenüber. Das gibt es kein Schild und eigentlich gar nichts, doch sie geben mir zu verstehen, dass es hier zwei Appartements gäbe und ich die Nummer anrufen soll, die über der Klingel steht. Gesagt, getan.
Nach langem Klingeln hebt eine Frauenstimme ab mit dem allseits beliebten "Pronto". Darauf ich: "Buona serra signorigna. Io un turisto e bisognio de una camera per una note. Io in fronte de vostre localita." (Ich weiss, ich kann kein italienisch). Sie stellt mir eine Frage die ich nicht verstehe. Darauf ich: "Scusi, non capische molto italiano". Darauf Sie: "bla, bla, bla... occupato".Hmm, besetzt. Ich: "O.K. Grazie e buanoa serra". Ich denke mir, das war es dann. Die drei Frauen auf der Gegenseite sehen mich fragend an. Ich schüttle den Kopf "Occupato". Worauf die Grossmutter sagt: "No, aspeta" Aha, ich soll warten. Darauf schicken sie Ihre Tochter los, die nach zwei Minuten wieder zurück ist und sagen mir, dass ich fünf Minuten warten soll. Ich setze mich auf die Treppe vor dem Eingang und warte. Wenn Italiener fünf Minuten sagen, meinen Sie 15 Minuten...
Dann tauchen zwei junge Paare auf und die Grossmutter deutet mir an, dass sie mir weiterhelfen können. Es stellt sich heraus, dass eine der Frauen die Tochter der Besitzerin ist und die zweite Frau ihre Freundin, die Fotos von den Appartements machen solll um diese dann später ins Internet zu stellen. Diese Frau kann zum Glück englisch und endlich kann ich mich mit jemandem vernünftig unterhalten. Sie erzählt mir nun, dass das Appartement erst gestern fertig geworden sei und ich der erste Gast überhaupt wäre. Ob ich nicht noch fünf Minuten warten könne, bis sie ihre Fotos gemacht habe. Natürlich, kein Problem. Aus fünf Minuten wurden 15...
Dann kommt eine Frau um die fünfzig und die Grossmutter auf der Gegenseite sagt nun: "La signora della casa". Aha. Die kommt sehr freundlich auf mich zu und fragt, ob ich der sei, der telefoniert hätte. Ja, das war ich. Sie sagt dann, dass sie mich nicht verstanden hätte und weil sie nicht mehr weiter wusste, sagte sie, es sei besetzt. Ich denke mir, o.k. bei solchen Nachbarn klappt auch diese Strategie. Sie will noch schnell Handtücher bringen und alles nochmals überprüfen, das dauere nur fünf Minuten. Auch diesmal wurden aus fünf Minuten 15, denn bis der Gasanschluss (den ich sowieso nicht brauche) gefunden und aufgedreht wurde, sowie die Waschmaschine (die ich sowieso nicht brauche) ans Wasser angeschlossen werden konnte, dauerte es halt.
Das Appartement ist wie gesagt absolut neu und die gute Frau fand es nur richtig, dass ich das Bike mit hinein nehme. Sie freute sich über den ersten Gast und gab mir deswegen 5 Euro Rabatt, Statt 40 nur 35 Euro. Dafür wolle sie ein Foto von mir machen, ob das in Ordnung sei. Natürlich, wir lachen alle und endlich ist die Sache geritzt. Also ab unter die Dusche, Kleider waschen und dann nichts wie los in die nächste Gelateria.
Nach etwa 30 Metern endet die schmale Gasse und man kommt auf einen grossen Platz vor einer Kirche und steht vor einer grossartigen Hauptstrasse, bestimmt 500 Meter lang, die von zwei Baumreihen gesäumt wird. (Da hätte es bestimmt auch normale Hotels gegeben, doch ich bin mit meiner Wahl nun wirklich zufrieden).
Auf der Hauptstrasse sah ich sehr viele Leute und als ich näher kam wurde mir auch bewusst, weshalb. Es begann nämlich gerade ein grosser Prozessionsumzug für die heilige Santa Maria delle Grazie. Ganz vorne trug Einer das Kreuz, dahinter der Pfarrer und ein Pater oder Mönch. Dann kamen etwa 20 kirchlich gekleidete Männer, die ein geschmücktes Madonnenbild auf den Schultern trugen, dann ein paar Fahnenträger, eine etwa 30 Personen umfassende Blasmusik und dahinter geschätzte 100 Gläubige. Ich bin atheistischer Protestant (gibt es sowas überhaupt?) und habe keine Ahnung von den katholischen Bräuchen, doch es war sehr interessant anzusehen.
Der Pfarrer sprach über Mikrofon und Lautsprecher ein paar Worte, worauf die Kirchgemeinde etwas murmelte. Nach etwa 100 Metern blieb der ganze Umzug stehen. Dann spielte die Kapelle ein Musikstück, worauf sich die Menge wieder etwa 100 Meter in Bewegung setzte und das Ganze wieder von vorne losging. Der ganze Umzug ging die Hauptstrasse hoch, einmal um die grosse Kirche und dann die Hauptstrasse wieder runter. Der Unterschied war, dass auf dem Rückweg bei jedem Halt Feuerwerk mit Böllern und Krachern gezündet wurde, die so laut waren, dass sie einem in die Magengrube schlugen. Was das wohl zu bedeuten hat? Wollen die damit den Teufel vertreiben und verschrecken? Ich weiss es nicht, doch es war wirklich interessant anzusehen. Alles dauerte etwas mehr als eine Stunde. Da bin ich wohl genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.
Die englischsprechende Freundin der Tochter der Appartementsvermieterin empfahl mir eine Pizzeria, die gute, grosse und günstige Pizzen mache und mein Hunger verlangte nun nach etwas Währschaftem. Ich habe dann da wirklich gut gegessen und war ab der Rechnung verblüfft: Coperto (1 ‚¬) , eine 6dl-Flasche Peroni Bier (2,50 ‚¬), einen Insalata Caprese di Buffala (3 ‚¬) und eine Pizza Caprichiosa (4 ‚¬), macht total 10,50 Euro. Unglaublich... Wie machen die das? Ich war nämlich wirklich satt und verzichtete deshalb sogar auf ein Dolci. Von mir aus kann es so weiter gehen...
Das war ein langer und einer der ersten wirklich heissen Tage. Nun bin ich noch 200 Meter über Meer und ich denke mir, dass auf Meereshöhe nun viele Tage über 35° Grad folgen werden. Ich freue mich auf´s Meer und bin gespannt, wie ich die Hitze vertragen werde. Das GPS sagt: 124 km., 7:04 Std., 1´940 Hm.
Dieser Link ist nicht aktiv. Er enthält eine kopierbare Trackback-URI, um manuell ein Ping- und Trackback zu diesem Eintrag für ältere Blogsysteme zu generieren; zB (immer noch valide) über das zur Verfügung gestellte Eintragsfeld des serendipity_event_trackback Plugins. Serendipity und andere Blogsysteme erkennen die Trackback-URL heutzutage aber automatisch anhand der Artikel-URL. Die Trackback-URI für ihren Link des Sender-Eintrages lautet daher wie folgt: »https://www.beatsblog.ch/1773-27-Aus-Bergen-werden-Huegel.html«