Montag, 6. Februar 2017
Tag 22 - unsichtbare Berge
Schon kurz nach dem ich losgefahren bin wusste ich, dass es heute kein Zuckerschlecken wird. Ich fahre ostwärts und ein kalter Nordostwind bläst mir direkt entgegen. Da erinnere ich mich an einen Radlerspruch. «Der Wind sind die Berge des Nordens». Wie wahr! Man fährt zwar in der Fläche, doch es fühlt sich an wie bergauf. Ich muss zwei, drei Gänge kleiner schalten um den Rhythmus halten zu können. Es ist kalt und pfeift in meinen Ohren. Es macht nur wenig Spass. Und wie es denn so ist an Tagen wie diesen, man verfährt sich, Wege sind gesperrt oder die einzige Bäckerei unterwegs ist geschlossen. Es kommt dann alles zusammen. Es war also irgendwie nicht mein Tag, auch wenn das Tagesziel den schönen Namen «Glückstadt» trägt.
Zuerst führte die Strecke direkt der Küste entlang (also vor dem Deich). Das war soweit interessant, dass man aufs Meer oder die Elbe sah und immer wieder grosse Schiffe zu sehen waren. Aber: man ist brutal dem Wind ausgesetzt. Da gibt es kein Haus, keinen Baum, rein gar nichts, wo man etwas Windschutz finden würde oder wo man mal kurz eine Pause einlegen könnte. Links ein sandig flaches Ufer und rechts eine Wiese/Steppe, die sich zum Deich hin erhöht. Sonst nichts. Nach etwa 20 Kilometern erreiche ich Otterndorf. Mir ist zwar kalt, doch Hunger verspüre ich noch nicht und Proviant habe ich auch dabei. Zudem führt die Strecke nicht mitten ins Ortszentrum, sondern man streift den Ort und fährt durch Einfamilienhaussiedlungen.
Knappe 10 Kilometer später, in Belum, bin ich aber fällig. Der dauernde Wind zermürbt mich. Ich will mal in die Wärme und Ruhe. Ein Kaffee und etwas Süsses wäre auch nicht schlecht. Doch in Belum gibt es ausser einer Kirche und einem Getränkemarkt nur Einfamilienhäuser. Kein Gasthaus und keine Bäckerei (ich konnte zumindest keine finden). Ich bin enttäuscht, doch was soll’s. Fahr ich weiter. Ausgangs Belum sehe ich ein Bushaltestellenhäuschen, welches dreiseitig umbaut ist und somit also Windschutz bietet. Ich halte an, nehme Tee und Süssigkeiten aus der Tasche und mache eine Pause. Meine Beinchen fühlen sich schon etwas schwammig an. Noch sind kaum 30 der etwa 70 Kilometer geschafft. Ich muss mich zwingen um regelmässig zu essen und vor allem zu trinken. Anstrengend ist die ganze Sache ja schon und auch wenn man eher friert, so dehydriert man eben doch.
Als ich weiterfahre, endet meine Strecke ganz unverhofft vor einem hohen Zaun. Da steht: Gesperrt. Öffnung am 17.04.2017. Hinter der Absperrung klafft ein grosses Loch, wie wenn ein Teil der Strasse weggespült worden ist. Ich orientiere mich am Navi… Hmmm… Viel Wasser im Weg. Das gibt einen grösseren Umweg… Und so war es dann auch. Nach 13 Kilometern oder mehr als 45 Minuten später war ich nur etwa 200 Meter von der gesperrten Stelle entfernt. Jetzt sehe ich, dass eine Brücke fehlt. Egal. Abhaken, weiterfahren.
Zum Glück weiss man vorher jeweils nicht, was auf einem wartet. Nun folgen die wohl 20 langweiligsten und nervigsten Velokilometer meines Lebens. Ich bin jetzt hinter dem Deich. Links also Deich und rechts freie Fläche soweit das Auge reicht. Riesige Agrarflächen. Keine Häuser, keine Bäume, nichts als öde Landschaft und Wind. Gegenwind. Immer und unerbittlich. Und endlose gerade Strecken. Man blickt hoch, fährt 10 Minuten weiter, blickt wieder hoch und alles sieht noch genau gleich aus. Die Strasse nimmt kein Ende und wenn mal eine ganz leichte Krümmung kommt, sieht es danach wieder genau gleich aus. Eine endlose, gerade Strecke und noch heftigerer Gegenwind. Ja, das sind die unsichtbaren Berge des Nordens… SCHEISSE! Ich würde so gerne eine Pause machen, doch wo? Hier gibt es nichts! Ich will mal aus dem Wind, nur für 3 Minuten – unmöglich, da gibt es nichts, was vor dem Wind schützen würde. Irgendwann halte ich an, steige ab und schiebe das Rad. Wohlverstanden auf topfebener Strecke. Ich muss einmal andere Muskeln bewegen und auch den kalten Füssen tun ein paar Schritte gut. Aber ein Rad in der Fläche schieben ist saudoof. Ich steige also wieder auf und fahre weiter. Ich weiss genau: Im nächsten Ort falle ich über ein Geschäft her. Egal ob Bäckerei, Restaurant, Tankstelle oder Lebensmittelgeschäft. Ich will aus dem Wind und ich muss Kalorien nachschieben.
Der nächste Ort heisst dann Freiburg. Ein wirklich putziges, kleines Nest und siehe da, es gibt auch ein Lebensmittelgeschäft mit Stehcafé. Genau mein Ding! Ein Milchkaffee, ein Stück Streusselkuchen und einen Berliner später fühle ich mich deutlich besser. Und siehe da, ein Wunder, zwischen all den Wolken zeigt sich nun doch auch mal noch die Sonne. Schön. Das tut gut.
Bis zur Fähre über die Weser sind es dann nur noch knapp 10 Kilometer und auf der Gegenseite, in Glückstadt vielleicht noch 3 Kilometer bis zum Hotel. Alles wird gut! Glückstadt ist eine entworfene Stadt die 1617 gegründet wurde. Zum zentralen Marktplatz führen sieben gerade Strassen. Der Kernbereich besteht noch aus vielen alten Häusern und das alles macht einen ganz schmucken Eindruck.
Meine heutige Unterkunft ist ein kleines Gästehaus, nur etwa 100 Meter vom zentralen Platz entfernt. Es ist geheizt, die Dusche funktioniert und in einem Restaurant in der Nähe habe ich gut gegessen. Ich konnte mich also mit diesem Tag doch noch etwas versöhnen.
Hier die aufgezeichnete Strecke von heute. Im Fotoalbum sind jetzt die Bilder von gestern und heute.
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| Weiter: "stürmische Belohnung"
tolles Panorama Wenn wir umgangssprachlich sagen "ich fühle mich gut" meinen wir eigentlich, dass wir keinerlei körperliche Schmerzen verspüren und keine grösseren psychischen Probleme vorliegen. Also die Abwesenheit von "negativen" Empfindunge […]
Kommentare
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Anita am :
Was du da machsch isch eifach nur de absoluti Wahnsinn!Ich bewundere dis Durchhaltevermöge und din Wille und das bi dene kalte Temperature.Mir wünsched dir für die witeri Fahrt na viel K
7Draft und Usduur und lueg das gsund wieder heichunsch zu dim Fraueli!
Liebi Grüess Anita & Dani
Susana Chicharro am :
Susana
Jürg Knobel am :
Als Aargauer unterwegs am :