Es standen ein paar grosse Fragen im Raum, die es zu beantworten galt:
- Ist eine Hüftprothese wirklich die einzige Option?
- Muss man das innert Stunden operieren oder können bis zur Operation auch Tage vergehen?
- Wie komme ich wieder in die Schweiz? Vor oder nach der Operation?
- Wie kommt mein Fahrrad mit dem Restgepäck wieder in die Schweiz?
Natürlich stand für mich die Option einer raschen Rückreise in die Schweiz, sowie Operation und Rehabilitation zuhause im Vordergrund. Die grosse Frage dabei war ganz einfach: Bin ich transportfähig? Nur liegend-Transport oder wäre auch sitzend in einem PW denkbar? Und: Was kostet ein Krankentransport in die Schweiz und wann ist er verfügbar?
Mit dem Krankenwagen zu einem Flugplatz und mit der Schweizerischen Rettungsflugwacht nach Haus schied aus. Ich bin da seit etwa 10 Jahren nicht mehr Gönner und müsste voll bezahlen. Das kostet dann schnell weit mehr als Fr. 10'000. Weitere Abklärungen ergaben, dass ein liegend-Transport in einem Krankenwagen-ähnlichen Gefährt mit medizinischem Personal für etwa Fr. 4'000 zu haben ist. Immer noch sehr viel Geld.
Mein Freund Jürg bot an, dass er noch am Mittwochabend losfahren würde um mich heute Morgen in San Benedetto del Tronto abzuholen. Das mache er aber nur, wenn ich mir sicher bin, dass ich ein sitzend-Transport überstehe. Bin ich mir dessen sicher? Der Wunsch ist Vater des Gedankens... Ja. in ruhiger Sitzposition halten sich die Schmerzen in Grenzen. Ich weiss, dass ich leiden werde, doch das ist die beste Option. Jürg hat auch einen Fahrrad-Heckträger und so können wir auch gleich noch mein Fahrrad abholen und mitnehmen.
Heute Morgen besprach ich dann diese Entscheidung mit den hier anwesenden Ärzten. Es war nicht sehr verwunderlich, dass mir grosses Unverständnis entgegenschlug. Sitzend in einem PW? 800 Kilometer oder etwa 10 Stunden? Nein, das ist eine blöde Idee und wird so nicht funktionieren. Letztendlich sei es aber meine Entscheidung und ich müsse mich quasi selbst entlassen und jegliche Verantwortung für mein Tun übernehmen. Dafür würden sie nun die notwendigen Dokumente aufsetzen.
Ich möchte hier erwähnen, dass ich in keinem Moment an der Fachkompetenz der italienischen Ärzte gezweifelt habe. Die hätten diese Operation sicher genauso seriös durchgeführt, wie ein Spital in der Schweiz. Ich hatte einfach Bedenken wegen der Sprachbarriere und wollte nicht so lange von Karin und meinen Freunden getrennt sein.
Gegen halb elf Uhr traf dann Jürg im Spital ein. Ich unterschrieb die nötigen Dokumente, bekam eine CD mit Röntgenbilder mit und wurde dann in einem Rollstuhl neben die Beifahrertüre von Jürgs Auto gerollt. Dort zeigte sich dann die ganze Schwierigkeit dieses Unterfangens. Wie steigt ein fast 2m grosser Mann in ein Auto ein, wenn er nur auf einem Bein stehen kann und jede Hüftbewegung grosse Schmerzen auslöst? Seitlich einsteigen/hinsitzen ist schon der Terror. Mich dann noch aufstützen, das Becken anheben und in Fahrtrichtung drehen, während Jürg das lädierte Bein in den Beinraum hebt ist dann an der Grenze des Ertragbaren. Mir wird schlecht. Ich kriege einen Schweissausbruch. Das ist eine Scheiss-Idee! Doch das darf ich mir jetzt auf keinen Fall anmerken lassen. Das geht schon...
Wir fahren vom Spital zu der Bar beim Bahnhof von Monsampolo del Tronto, wo mein Bike steht. Jürg packt es auf den Heckträger, kauft noch zwei Paninis und dann machen wir uns auf die lange Rückreise. Das Navigationssystem des Autos sagt: 812 Kilometer. Wir schätzen etwa 10 Stunden, mit 2 oder 3 Pausen. Ich schlucke ein erstes Ibuprofen 600mg.
Solange ich mich nicht bewege, geht es eigentlich ansprechend gut und die Schmerzen halten sich in einem durchaus auch längerfristig ertragbaren Rahmen. Wir stellen dann bald fest, dass Autobahnfahren das kleinste Problem ist. Richtig hart sind Pinkelpausen, die über diesen Zeitraum zwingend nötig werden. Aussteigen, mit den Krücken zu einem Busch humpeln, dort auspacken, pinkeln ohne hinzufallen, ohne sich auf die eigenen Schuhe oder Hosen zu pinkeln, das ist alles nicht ganz einfach. Zumal es bei starken Schmerzen schwerfällt sich soweit zu entspannen, damit man die Blase auch vollständig entleeren kann. Und dann alles wieder zurück und wieder einsteigen. Das war jedes Mal ein riesiger Kraftakt und nach jedem Halt tankte ich wieder Schmerzmittel nach... Es muss einfach sein...
Um Mailand kamen wir voll in den Feierabendverkehr und verloren dabei über eine Stunde mit Stau und Stopp and Go. Später, über die Grenze und durch den Gotthardtunnel war es dafür problemlos. Doch nach der Axenstrasse, bei Schwyz, war dann die Autobahn gesperrt und wir mussten entlang des Zugersees via Zug und Baar wieder auf die Autobahn fahren, was dann noch einmal Zeit kostete. Bis wir endlich bei der Notfallaufnahme des Spitals in Bülach vorfuhren, war es schon nach elf Uhr nachts. Die Fahrt dauerte also über 11 Stunden, doch wir haben es hinter uns gebracht und das war für uns alle das Wichtigste. Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich Jürg bin. Er sagte spontan zu und ist in eineinhalb Tagen über 1'600 Kilometer für jemanden Anderen Auto gefahren. Ein grosses Herz und ein grossartiger Freund!
Und natürlich wartete auch Karin vor der Notaufnahme schon auf uns. Das Spitalpersonal war informiert, ein Rollstuhl stand bereit und so konnte ich rasch zur Eingangsuntersuchung gebracht werden. Alles wird gut....