Qual der Wahl
Das kommende Wochenende ist hier in der Schweiz wieder einmal Wahl-Wochenende. Alle vier Jahre wählen wir die sogenannten Volksvertreter in das eidgenössische Parlament, den National- und den Ständerat. Diese beiden Räte wählen dann -bei Bedarf- die Bundesräte, was auch in diesem Jahr nötig sein wird, weil der bisherige Gesundheitsminister seinen Rücktritt bekannt gegeben hat und ersetzt werden muss.
In vielen demokratischen Ländern sind solche Wahlen die einzigen Volksbefragungen und somit das (fast) einzige Bürgermittel um die zukünftige Politik des Landes zu bestimmen. In der Schweiz ist das nicht so. Etwa viermal pro Jahr finden Abstimmungen statt, bei denen die Bevölkerung über Sachvorlagen abstimmen kann. Diese sind föderalistisch ausgestaltet. Es gibt also Abstimmungen über Themen auf Gemeinde-, Bezirk-, Kanton- und auf Bundesebene. Aus meiner Sicht sind Abstimmungen wichtiger als Wahlen. Bei Abstimmungen geht es um konkrete Inhalte, die direkte Auswirkungen zeigen, während Wahlen eher richtungsweisend zu betrachten sind.
Wobei... Das ist eigentlich auch nicht mehr so. Denn gewählte Politiker wollen heute nicht mehr die Richtung weisen und wichtige Entscheidungen herbeiführen, sondern sie wollen vor allem: in vier Jahren wiedergewählt werden. Und das funktioniert am einfachsten, wenn man unauffällige Politik betreibt und sich möglichst nicht exponiert.
Zumal unsere viel gelobte direkte Demokratie zwar viel vom Volkswillen spricht, im Hintergrund jedoch von grossen Wirtschaftsinteressen geprägt wird. Offiziell ist die Schweizer Regierung ein Milizsystem und kennt keine Berufspolitiker. Das heisst: Die Ratsmitglieder kriegen zwar Sitzungsgelder aber keine eigentliche Entlöhnung für Ihren Aufwand. Die Sitzungsgelder sind nicht zu schmal und eigentlich kann jeder Politiker damit recht locker seinen Lebensunterhalt bestreiten, doch reich wird man doch eher in der Privatwirtschaft als in der Politik. Glücklicherweise lassen sich diese zwei Felder recht einfach kombinieren. Denn, oh Wunder, fast alle gewählten Politiker werden innert kürzester Zeit zu Verwaltungsratsmitgliedern von namhaften Unternehmen oder Verbänden. Da lässt sich dann einerseits noch etwas dazu verdienen und andererseits ist das auch eine gute Zukunftsabsicherung, falls es mit der politischen Wiederwahl dann doch nicht klappen sollte. Und so werden aus Volksvertretern also Wirtschaftsvertreter, denn man weiss es ja: Eine Hand wäscht die Andere... Man nennt das hierzulande Lobbyismus oder Verfilzung von Politik und Wirtschaft. Man könnte dies auch ganz einfach Korruption nennen, doch so böse will hier niemand sein, denn korrupt sind immer nur die Anderen.
Und so wird Politik relativ einfach denn es geht eigentlich nur noch darum, wie man möglichst wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen schafft. Wenig Regulierungen, tiefe Unternehmenssteuern und ein schwacher Staat, das sind die erfolgreichen Rezepte der letzten 20 bis 30 Jahre. Das lockt ausländische Firmen in die Schweiz, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist tief und alle sind beschäftigt und glücklich.
Ein weiteres Erfolgsrezept ist: Anstehende Probleme nicht lösen sondern bewirtschaften. Man erkennt zum Beispiel die Probleme im Verhältnis von der Schweiz zur EU, die demografischen Probleme der Altersvorsorge, die "to-big-to-fail"-Problematik, die stetig steigenden Gesundheitskosten, den Klimawandel oder die Probleme im Umgang mit Flüchtlingen und Hilfesuchenden. Man spricht auch betroffen darüber und signalisiert so der Bevölkerung, dass man ihre Ängste und Sorgen wahrnimmt und sich kümmert. Doch ausser darüber reden passiert genau: gar Nichts! Denn: Jeder Lösungsansatz zu Gunsten von Etwas, wäre auch zum Nachteil von etwas Anderem. Und sollte etwas zu Gunsten der ärmeren Geringverdiener gemacht werden (z.B. Sozialer Wohnungsbau, Regulierung der Medikamentenpreise, Stützung des Rentensystems), so wäre das ja nur zu Lasten der Besserverdiener oder der Wirtschaft möglich. Und die möchte man nicht zum Gegner haben.
Lange Rede kurzer Sinn: Es ist also ziemlich egal, welche Partei oder welche Personen man nun wählt. Das Resultat bleibt sich gleich. Es passiert Nichts! Es wird weiter beobachtet und analysiert werden, bis wir eines Tages vom Ausland so stark unter Druck gesetzt werden, dass wir nicht mehr anders können, als uns zu bewegen. Das war schon nach dem EWR-Nein 1992 so, das war bei den nachrichtenlosen Vermögen des 2. Weltkriegs so, das war beim Bankgeheimnis so und das ist bei vielen Umwelt- und Wirtschaftsstandards so. Die Schweizer Politik ist geprägt von nichts tun und nur auf äusseren Druck zu reagieren. Das ist sehr bequem, denn man hat so auch immer gleich einen Schuldigen zur Hand. Und meistens sind sowieso die Ausländer schuld...
Man kann also dieses Wochenende zwischen freundlichem Stillstand (links der Mitte) und unfreundlichem Stillstand (rechts der Mitte) wählen. Es tut uns leid, doch Fortschritt steht leider nicht zur Wahl. Meine Motivation ist einzig und alleine, dass die Unfreundlichen nicht immer noch stärker werden.