Freitag, 14. Juli 2023
Ich brauche Aussicht
Seit der Hüftoperation kämpfe ich mit Stimmungsschwankungen und nicht nur körperlich wechseln sich gute und schlechte Tage ab. Ich bin oft frustriert und schlecht gelaunt. Dieser Unfall hat so vieles verändert und in Frage gestellt. Vor allem mein kleines Rikscha-Geschäft leidet unter dem schleppenden Heilungsverlauf. Das deckt kaum noch die Kosten. Ich musste doch vieles absagen und wenn ich selbst Touren fahre, werde ich oft mit zunehmenden Schmerzen belohnt. Irgendwie ist alles ziemlich mühsam geworden... Manchmal denke ich: Ich verliere mich im Negativen und es fehlt mir eine positive Perspektive.
Auch zur verordneten Physiotherapie habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Oft plagen mich danach grössere Schmerzen als davor. Einerseits denke ich, dass das so sein muss, weil ich Bewegungen und Übungen durchführen muss, die in den letzten Monaten vernachlässigt wurden und das deshalb Muskelkater und Schmerzen dazugehören. Auf der anderen Seite empfinde ich zusätzlichen Schmerz jedoch als kontraproduktiv. Es ist schwierig... Irgendwie habe ich dieses Jahr schon fast abgeschrieben. Ich werde wohl noch Monate brauchen, bis die Hüfte ganz ausgeheilt ist. Das alles begrenzt meinen geistigen Horizont. Ich bin es müde, mich tagtäglich mit dieser Hüftthematik auseinander zu setzen und mittlerweile schaue ich mehr zum Boden, als zum Horizont... Das ist nicht gut.
Heute morgen hatte ich mit der Rikscha eine Hochzeitsfahrt in der Stadt und davon bin ich kurz vor Mittag nach Hause gekommen. Das Wetter war wieder prächtig. Sonnenschein und bis 28° Grad warm. Ich könnte nun den Nachmittag im Freibad verbringen. Könnte ich... Mir steht der Sinn jedoch nach Aussicht. Ich will mal wieder mit dem Bike einen Hügel hochfahren und am höchsten Punkt die Aus- und Fernsicht geniessen. Nicht immer nur im Tal rumhängen, sondern Höhe erreichen.
Seit der Operation bin ich nur noch flache Radstrecken gefahren. Ich weiss nicht, ob ich es einen Berg hoch schaffe. Um mir alle Optionen offen zu halten packe ich Badehose und Badetuch ein. Wenn ich auf der Bergfahrt zu starke Schmerzen verspüre drehe ich um und fahre zum nächstgelegenen Freibad. So der Plan.
Die beste Aussicht weit und breit bietet die Aussichtsplattform auf der Lägern Hochwacht. Ich weiss, dass dies von zuhause weg eine ausgewachsene Tour geben wird. Da kommen über 50 Kilometer und 800 Höhenmeter zusammen. Vielleicht etwas viel, doch ein Versuch wert. Schaun wir mal.
Der erste Hügel in Richtung Bülach geht recht gut. Natürlich schalte ich schnell auf kleine Gänge um die Belastung in Grenzen zu halten, doch spielt ja alles keine Rolle. Von da mache ich das obenstehende Foto. Die Lägern sind noch weit weg... Ich war bestimmt schon über 100 Mal auf den Lägern und kenne so ziemlich jede mögliche Anfahrt. Für heute sollte es möglichst lange einfach und auf Asphalt hochgehen. Dafür braucht es eine etwas längere Anfahrt, an Dielsdorf und Steinmaur vorbei bis nach Schleinikon. Alles ganz easy. Von da weg geht es dann jedoch stetig berghoch.
Ich fahre fast immer in den kleinsten zwei Gängen. Es ist heiss und der Schweiss fliesst stetig. Einmal mache ich im Schatten eines Waldrandes eine kurze Verschnaufpause, doch ansonsten bin ich es recht gut hochgefahren. Die letzten 300 Meter bis zur Hügelkrete führen über einen steilen Wanderweg, den ich auch topfit höchstens zu Dreivierteln hochfahren kann. Heute bin ich schon beim Einstieg in den Wanderweg abgestiegen und habe geschoben. Langsam aber stetig. Die andersartige Belastung hat gutgetan und ich war sogar positiv überrascht, dass mir gehen/schieben nicht mehr Probleme bereitet. Die letzten 100 Meter bis zur Aussichtsplattform kann man wieder fahren und so mache ich das natürlich auch. Man will ja fahrend und nicht schiebend oben ankommen. Geschafft!
Die Aussicht war wirklich Spitze! Schon so oft gesehen und trotzdem immer wieder toll. Ein echter Lohn für die Mühen des Aufstiegs. Ich bat eine junge Wandererin ein Foto von mir zu machen, dann setzte ich mich auf eine Aussichtsbank und liess die Umgebung auf mich wirken. Schön. Einfach schön. Eigentlich wollte ich noch etwas länger verweilen, doch die Sonne brannte unbarmherzig auf die Betonplattform. Also doch lieber wieder aufsteigen und durch den kühlen Wald nach unten fahren.
Ich bin ganz vorsichtig und langsam die bekannten Singletrails abgefahren. Alles, nur nicht stürzen - das war das Motto. Die Wege waren heftig ausgefahren und durch die letzten Gewitter auch ausgewaschen. Viele Wurzeln und Steine schüttelten mich kräftig durch. So ohne Federung ist das doch ziemlich holperig... und trotzdem hat es Spass gemacht. Weiter unten, wieder auf der Strasse, liess ich es dann ruhig angehen. Ich war doch schon etwas müde und bis nach Hause waren es dann doch noch fast zwanzig Kilometer. Natürlich gönnte ich mir am Pistenende bei Oberglatt noch eine Pause mit Iced Coffee und Nusskuchen.
Im Anstieg über den letzten Hügel kriegte ich im linken Bein plötzlich üble Muskelkrämpfe. Ich musste anhalten und absteigen. Es war anscheinend die Folge davon, dass ich während der Tour links mehr Kraft aufs Pedal brachte um das rechte Bein, respektive die Hüfte, zu schonen. Ich schob also noch einmal ein paar hundert Meter, bis der steilste Abschnitt überwunden und die Muskelkrämpfe verschwunden waren. Dann ganz runter schalten und locker kurbeln. Bald war es geschafft und von da ging es ja sozusagen nur noch bergrunter.
Diese Ausfahrt hat mir gut getan. Vor allem meinem Kopf hat sie gut getan. Der Blick in die Ferne, die Aussicht, dass doch alles wieder gut sein kann. Dass Nichts an und für sich gut oder schlecht ist, sondern alles nur eine Frage davon, wie wir es bewerten. Es liegt an uns, wie wir die Welt wahrnehmen... heben wir den Kopf und schauen wir in die Ferne... es liegt noch viel vor uns!
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