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Um 05:15 Uhr klingelte mein Handy. Schnell eine Banane und ein Biberli essen, etwas trinken und die schönen Veloklamotten bereitlegen. Vorher gut mit Sunnencreme einschmieren, auch wenn es draussen noch stockfinster ist. Der Wetterbericht verheisst Sonne pur und wieder gegen 24° Grad. Mit dem Auto brauche ich von Riccione bis nach Cervia fast eine Stunde und wo genau nun die "registrazione" ist, weiss ich auch noch nicht. Was ich weiss ist, dass ich Startnummer 7540 erhalte und diese zwischen 06:00 und 07:00 Uhr abholen muss. Ganz schön früh.
Auch wenn manches etwas chaotisch läuft in Italien, sie haben oftmals recht in ihrer unverbindlichen Art. Man findet es dann schon... Man sieht andere Velofahrer, erkennt plötzlich ein Schild "Parchegio Granfondo" und schon bald steht man auf einem grossen Parkplatz, wo schon aus einigen Autos Rennräder ausgeladen werden und sich Leute umziehen. Hier bin ich also genau richtig.
Mein Autoaussenthermometer zeigt um 06:30 Uhr erst 10° Grad. Brrr... Ziemlich kalt in kurz/kurz, da war ich wohl ziemlich optimistisch. Ich ziehe mir eine dünne Jacke über und beschliesse nach der Anmeldung nachmals zum Auto zu kommen. Bis zum Start um 08:25 Uhr bleibt ja noch jede Menge Zeit. Es ist ganz einfach, die registrazione zu finden. Solange einem Radfahrer mit dem Geschenkrucksack entgegen kommen, ist man richtig. Bei dem Zelt, wo die meisten Rennräder draussen stehen, liegt man vermutlich auch nicht schlecht. Und siehe da. Ganz einfach. Mir wird auch einer dieser roten Rucksäcke in die Hand gedrückt, dann gibt es jede Menge Startnummern, Werbekram und dann muss ich noch unterschreiben. Den Zeitmesschip gibt es für 15 Euro am Nebentisch. Die 15 Euro kriegt man wieder zurück, wenn man den Chip nach dem Rennen zurückgibt. Soweit so gut.
Als Nächstes steht ESSEN auf dem Programm. Ich habe noch nicht gefrühstückt und die 107 Kilometer brauchen noch etwas Treibstoff. Ich finde eine schon offene Caffeteria, trinke einen Cappuchino und verdrücke dazu ein grosses Sandwich. Im Geschenkrucksack lag noch ein Energieriegel und ein Gel, die ich gut gebrauchen kann. Zuhause fand ich nur noch einen vor zwei Jahren abgelaufenen Gel, den hatte ich mir schon mal eingesteckt.
Nach dem Frühstück fuhr ich also wieder zum Auto und begann mich fertig zu machen. Die grosse Nummer gehört hinten ans Trikot, die Kleine scheinbar vorne an den Lenker und der Aufkleber mit der Nummer gehört an den Helm. Das habe ich mir bei der Gruppe lauthals tratschender Italiener zwei Autos weiter hinten abgeschaut. Dann die grosse Frage, was nehme ich alles mit? Hmm. Zwei Trinkflaschen. Halt, wo sind die Flaschen? Nein! Die liess ich im Hotelzimmer stehen. Zum Glück gibt es als Werbegeschenk einen kleinen 0,5l Bidon. Zwar wenig, doch besser als gar nichts, auch wenn es bis zum Verpflegungsposten 54 Kilometer weit ist... Ich habe drei Trikottaschen. Links das Futter (1 Riegel, 2 Gel), rechts der Fotoapparat. In der Mitte Geld, Handy, Autoschlüssel, zusammen in einer kleinen Plastiktüte. Auf Werkzeug, Pumpe und Ersatzschlauch verzichte ich völlig. Ich vertraue auf mein Material. Sollte ein Defekt eintreffen, schaue ich dann weiter (das nennt sich: die italienische Strategie).
Den Zeitmesschip binde ich mir ums Bein, ziehe die Handschuhe und den Helm an und dann gilt es halt doch, die wärmende Jacke auszuziehen und an den Start zu fahren. Schon der Weg zum Start ist super organisiert. Die "Cilcoturista" treffen sich ganz hinten. Es wimmelt nur so von Rennradfahrern, es sind wohl weit über 1'000 am Start.
Die Start- und Ziellinie ist zum Glück direkt am Strand, von wo die Sonne doch langsam wärmende Strahlen schickt. Ich friere etwas, meine Muskeln zittern leicht. Oder bin ich etwa nervös? Wohl auch das. Dagegen hilft eine freundliche Begegnung. Plötzlich kommen drei Radler auf mich zu und einer zieht seine schwarze Jacke aus. Darunter trägt er das gnau gleiche "La Ritz" Veloshirt wie ich. Wir lachen und haben Spass. Natürlich müssen alle ein Foto schiessen! Kurz vor dem Start bat ich dann einen anderen Fahrer ein Foto von mir zu machen. Der Apparat wählte wohl automatisch den Blitz zur Gegenlichtaufhellung und so leuchten die Reflexstreifen an den Rädern ganz nett.
Um 08:39 fuhr ich dann über die Startlinie und startete die GPS-Aufzeichnung. Für das Rennen hatte ich mir folgende Eckdaten gemerkt: 35km flach, 2 Hügel auf 20km, Wellen auf 20km und 32 flache Kilometer zum Schluss. Verpflegung bei km 54. Daraus ergab sich meine Strategie:gemütlich an die Hügel heranfahren (Puls <145), den ersten Hügel piano, den Zweiten dann unter Vollast. Die flachen Kilometer zurück dann ja nach Zustand der Beine.
Nach den ersten paar Kurven lichtete sich das Feld rasch und zerfiel in immer kleinere Grüppchen und Einzelfahrer. Ich war zuerst auch allein, doch nach etwa 10 Kilometer fuhr ich auf eine Gruppe Senioren mit lokalen Biketrikots auf. Einer trug sogar das Shirt aus dem Vorjahr. Sehr gut, dachte ich mir. Die kennen das Ganze, da kann ich etwas im Windschatten mitfahren. Doch die werten Senioren liessen sich das nicht lange gefallen. Bei der nächsten Abzweigung scherten sie bewusst weit aus, dass ich sie zwangsläufig auf der Kurveninnenseite überholen musste. Und so klebten sie mir dann an der Backe, respektive am Hinterrad. Ich hörte immer mal wieder einen Freilauf surren oder ein Wechsel schalten, doch überholen und Führungsarbeit leisten, das wollte keiner mehr von ihnen. Dafür haben sie ja einen Touristen wie mich!
Ich musste schmunzeln, doch behielt stets den Pulsmesser im Auge. 145 war mein Limit und dementsprechend spulte ich mein Programm runter. Ich (und meine Beine) fühlte mich gut und hatte nun gute Betriebstemperatur. Schon bald war ich am Fusse der ersten Steigung mit etwa 300 Höhenmetern und denke mir "locker bleiben". Vor mir werden alle langsamer, es folgt eine Kurve nach links. Nach der Kurve sieht man eine steile Strasse empor und tatsächlich, da schieben welche. Angeschrieben steht: 15% Prozent. Endlich habe ich mit dem MTB Vorteile. Ich schalte locker runter (noch nicht mal auf das kleinste Kettenblatt) und kurble in angenehmem Tempo hoch. Zu meiner Überraschung überhole ich gleich gruppenweise Mitfahrer.
Auf der rassigen Abfahrt ins nächste Tal drücke ich mir den Energieriegel rein und erhole mich etwas, denn der zweite Anstieg ist mit etwa 400 Höhenmeter etwas länger und gemäss Beschreibung soll ein kurzes Stück 18% Prozent steil sein. Meine 0,5l-Trinkflasche ist schon fast leer. Der zweite Anstieg ist dann wie eine kleine Passstrasse. Über mehrere Serpentinen führt die Strasse hoch und man kann überall Velofahrer erkennen. Zudem wird einem schnell klar, dass es wirklich steil und hart wird. Ich fahre viel Wiegetritt und beginne wieder zu überholen. Viele keuchen heftig, während ich mich weiterhin gut fühle. Das überrascht mich nun wirklich. Eigentlich dachte ich, dass ich bergauf immer überholt werde und nicht, dass ich Andere überholen kann. Das kam wirklich unverhofft, hat mir aber wirklich auch Mut gegeben.
Deshalb habe ich an der Verpflegungsstelle auch nur kurz angehalten. Zwei kleine Stück Kuchen, zwei Becher Tee und nun zwei Mal 0,5l ans Velo. Und weiter geht es. Schon bald komme ich an einer Tafel vorbei mit der Aufschrift"40km dal arrivo". Stimmt. Mein GPS sagt 77 Kilometer. Plus 40 macht 107. Was nun?
Wellig und flach ist eigentlich mein Terrain. Die Beine sind noch o.k. und im Kopf bin ich gut motiviert. Nun lege also noch ein Bricket nach und erhöhe auf Puls um 150. Der Tacho zeigt meist zwischen 30 und 34km/h. Es lohnte sich wirklich, die Reifen vorher auf 4 bar zu pumpen. So schüttelt es zwar etwas mehr, doch es rollt noch einen Tick leichter. Leider finde ich keine geeignete Gruppe, wo ich über längere Zeit etwas mitfahren konnte und musste immer wieder alleine im Wind fahren. Das kostete natürlich kräftig Körner und so drohte mir gegen Ende des Rennens förmlich das Benzin auszugehen. Ab Kilometer 100 ersehte ich jeden Kilometer bis ins Ziel herbei. Eigentlich wäre ich gerne über die Zielline gesprintet, doch ich war völlig kaputt. Keine Chance um noch irgendwoher etwas Kraft freizusetzen. Weil aber viele freundliche Fotografen an der Ziellinie warteten, jubelte ich wenigstens wie ein Sieger!
Ich brauchte mehrere Getränke, ein paar Früchte und ein Käsebrot, bis ich wieder halbwegs normal fühlte und mein GPS auswerten konnte. 4:03 Std Fahrzeit, 950 Höhenmeter, 26,3km/h im Schnitt! Hut ab! Damit bin ich mehr als zufrieden. Das hätte ich mir vorher nicht zugetraut. Das ergibt Rang 1172 von 1372 Klassierten. Wenn ich daran denke, dass ich als einer der 50 Letzten gestartet bin, dann habe ich fast 150 Rennvelofahrer unterwegs überholt. Das fined ich wirklich Spitze! Ich schaute mir noch etwas die verschiedenen Verkaufsstände an, bevor ich dann zurück zum Auto fuhr.
Ich fuhr dann direkt zurück nach Riccione um mich im Hotel zu duschen und erstmal etwas hinzulegen. Der Tag dauerte ja schon lange. Doch wirklich müde war ich noch nicht, deshalb zog ich mich an und ging noch etwas an den Strand um die müden Beine bei einem Spaziergang etwas zu bewegen. Am heutigen, sonnigen und warmen, Sonntag hatte es einige Leute am Strand, doch im Wasser waren höchstens zwei oder drei kälteunempfindliche Kleinkinder. Dafür war es schon noch zu frisch. Ich setzte mich genüsslich in eine Gelateria und gönnte mir ein grosses Eis zur Belohnung.
Morgen lass ich es etwas ruhiger angehen. Nach drei Tagen auf der Strasse möchte ich gerne eine Mountainbiketour unternehmen. Denise vom Hotel will mir nach dem Frühstück auf einer Karte ein paar gute Trails zeigen, die ich dann mit dem Santa Cruz Tallboy ansteuern werde. Das arme Plastikbike musste bisher immer im dunklen Radkeller stehen... Morgen wird es Zeit um das Bike auch mal zu bewegen.
Bisher läuft alles Bestens und die Ferienwoche hat ganz super begonnen. Der Wetterbericht ist noch für die ganze Woche gut und ich bin wirklich dankbar, dass sich alles so gut zusammenfügt.