Samstag, 26. Juli 2008
Faulhorn
Im Morgengrauen wache ich auf und höre, wie es draussen regnet. Regen? Gibt's doch gar nicht, das ist nicht geplant! Weil ich es kaum glaube, trete ich an die Balkontüre und schaue schlaftrunken nach Draussen. Der Eiger ist kaum mehr zu sehen, tiefhängende Regenwolken drängen sich an die Bergflanken. Es regnet nicht stark doch es sieht auch nicht so aus, wie wenn es bald aufhört. Ich schaue auf die Uhr. Knapp vor sechs Uhr früh. Schön, ich kann nochmals zwei Stunden schlafen und davon träumen, dass es aufhört. Als dann um acht Uhr der Wecker klingelt, überprüfe ich natürlich als erstes das Wetter und siehe da, es regnet nicht mehr. Die Strassen sind zwar nass, die Wolken noch immer dicht, doch es regnet zumindest nicht mehr. Immerhin, ein erster Fortschritt.
Beim Frühstück besprechen wir die Lage und beschliessen, nichts am ursprünglichen Plan, via grosse Scheidegg und First hoch zum Faulhorn zu fahren, zu ändern. Dort entscheiden wir spontan, wie wir weiterfahren. Entweder runter nach Lütschental oder auf dem Bergkamm weiter westwärts bis zur Schynige Platte und da runter nach Wilderswil. Das machen wir abhängig vom Wetter und davon, wie wir uns dann fühlen werden.
Für den Aufstieg zur grossen Scheidegg nehmen wir heute eines der Postautos, welche gestern oft an uns vorbeigefahren sind. So sparen wir Zeit und etwa 900 Höhenmeter. Ein Bus bietet 5 Fahrradhalter. Wir sind aber zu sechst und deshalb muss für eines der Bikes eine andere Lösung gefunden werden... Kein Problem: Peter nimmt noch so gerne seine "rote Göttin" in den Bus hinein. Die Busfahrer sind äusserst freundlich und hilfsbereit, ein wirklich guter Service.
Als wir auf der grossen Scheidegg auf unsere Bikes steigen ist es kühl und ziemlich stark bewölkt. Nahe der Busstation hatte es noch viele Wanderer, doch schon bald sind wir mitten in der Natur und höchstens noch von Kühen umgeben. So fahren wir ganz locker am ersten Bikeverbotsschild vorbei. Heute darf man das... da stört man niemanden.
Nach einer knappen Stunde Fahrzeit kommen wir zu der Bergstation First und weil es in der Zwischenzeit wieder zu tropfen begann war es rasch klar, dass wir das riesige Bergrestaurant besuchen um bei einem Kaffee das weitere Vorgehen zu besprechen. Ich habe noch selten so ein grossen Bergrestaurant gesehen. Die Sonnenterasse bot Platz für mindestens 100 Personen und drinnen war es gleich nocheinmal so gross. Wie eine grosse Mensa. Die etwa 30 Gäste von heute wirkten ziemlich verloren. Im Winter muss hier die Hölle los sein. Klar, in dieser Umgebung ist Skifahren natürlich oberspektakulär. Das Panorama mit Wetterhorn, Schreckhorn, Fiescherhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau sowie den etwas kleineren Lauberhorn, Tschuggen und Männlichen ist ganz in weiss bestimmt ein Traum.
Die Tropfen hören wieder auf und wir sind immer noch unnachgiebig . Doch, ja, wir wollen weiter zum Bachsee und danach hoch zum Schreckhorn, auf 2'680 m.ü.M. Also los, doch was sehen wir da? Schon wieder Bikeverbotsschilder. Bikeverbot? Wirklich? Grindelwald will eine Bikegegend sein und sperrt die schönsten Strecken? Komisch. Na ja. Heute geht das schon. Es sind nur wenige Wanderer unterwegs und freundlich wie wir sind, wird das schon gehen. Die Schotterstrasse bis zum Bachsee ist breit und gut befahrbar. Die entgegenkommenden Japaner freuen sich über uns, feuern uns an und schiessen Fotos. Putzig. Es wäre interessant zu wissen, in welchen japanischen Fotoalben wir noch auftauchen werden...
Es beginnt wieder zu tropfen und die noch anstehenden 400 Höhenmeter bis zum Faulhorn werden immer härter. Es ist zeitweise so steil, dass wir schieben müssen und das Wetter wird immer garstiger. Wir müssen die Regenjacken anziehen... vielleicht war es doch keine so gute Idee...Auf der Spitze des Faulhorns sind mehrere Gebäude wie eine Trutzburg aufgebaut und die letzten Meter sind extrem steil. Nein, das muss nicht sein. Wir fahren, schieben und tragen unterhalb des Gipfels dem Wanderweg entlang weiter bis zum Berghaus Männdlenen.
Da hatten wir dann ein Erlebnis der besonderen Art. Als Erster unserer Gruppe nähere ich mich dem Vorgarten des Gasthauses. Ein älterer Bergbauer lehnt gegen das Gartentor und raucht zufrieden seine Pfeiffe. Ich trete auf ihn zu und grüsse freundlich. Er grüsst zurück, nimmt die Pfeiffe aus dem Mund und fragt: "Woher kommt ihr?" Ich: "Wir starteten auf der grossen Scheidegg und fuhren via First und Faulhorn hierhin." Darauf er: "Ihr wisst aber schon, dass hier Bikefahrverbot ist, oder?" Ich: "Ja, wir haben es gesehen, doch an einem verregneten Tag wie heute dachten wir, dass das schon drinliegt." Darauf er: "Das ist hier ein Wander- und Naturschutzgebiet, da haben Biker nichts zu suchen... bla, bla, bla, solche Typen wie Ihr schaden allen Bikern... bla, bla, bla, unverantworlich, egoistisch und respektlos.... bla, bla, bla, ich hole jetzt Papier und Bleistift, notiere mir Eure Namen und Adressen und dann werden ihr gebüsst!" Mittlerweile sind alle Bikefreunde bei mir eingetroffen, merken worum es geht und deshalb wird das Gespräch schnell unübersichtlich und zunehmend gehässigt. Jeder will auch noch etwas sagen und er reagiert immer heftiger. Remi hat dann als Erster richtig reagiert, ist mit dem Bike am Bauern vorbeigegangen und liess ihn einfach stehen. Der Mann hat ja Recht und wir Unrecht. Was will man also noch lange diskutieren? Nach und nach lösen wir uns aus der Streiterei und machen uns auf den Abstieg in Richtung Lütschental. Geben wir unser Geld halt nicht in diesem Berghaus aus... Und Abstieg ist auch richtig gesagt. Wir müssen nun auch bergrunter häufig absteigen und tragen. Immer wieder grosse Steine und Absätze. Was regt sich der Bauer denn so auf? Wir wandern ja...
Später wird der Wanderweg besser fahrbar und bietet mehr und mehr Spass. Matthias und ich nehmen jede Abkürzung und unsere Laune bessert sich mit drum sehr schnell. Die Anderen fahren auf der Strasse ins Tal und zurück nach Grindelwald wo wir später auf sie treffen.
Es ist etwa halb fünf Uhr Nachmittags und Matthias und ich möchten eigentlich noch etwas Singletrails und Downhills fahren. Was tun? Wir entscheiden uns zur Bergbahn First zu fahren um zu fragen, ob sie auch Bikes transportieren. So könnten wir nochmals etwa 1'000 Höhenmeter Trailsurfen. Ja, das tun sie. Kostet 32 Franken pro Person und 10 Franken pro Bike! Hammerpreise! Doch das ist es uns wert. Wir zücken die Brieftaschen, bezahlen und schon sitzen wir in der Gondel hoch zum First. Da waren wir heute ja schon einmal, nur ist es abends um 17:00 Uhr auf 2'100 m.ü.M. schon etwas kühler. Das Thermometer zeigt 13-14° Grad und wir ziehen die Regenjacken nocheinmal an.
Bevor wir losfahren schauen wir nochmals auf die Karte, doch die angebotenen Schotterstrassen machen uns nicht an. Wir fahren lieber zur grossen Scheidegg rüber und nehmen da den Wanderweg nach Grindelwald runter. Den hatten wir gestern beim hochkurbeln immer wieder gesehen und damals schon gedacht, dass der bergrunter sicher Klasse wäre. So war es dann auch! Sensationell! 100% fahrbahr, keine Wanderer, einfach super! Keine halbe Stunde später waren diese 1'100 Höhenmeter wieder vernichtet und wir rollten superzufrieden in Grindelwald ein. Das war jeden Franken wert!
Bei einem Bierchen auf der Sonnenterasse des Hotels liessen wir den Tag ausklingen. Ende gut, alles gut. Was für ein Tag: 46 Kilometer, 4:12 Std. Fahrzeit, 1'350 Hm berghoch und fast 3'000 Hm bergrunter!
Um es klar zu stellen: Diese Tour soll man nicht fahren! Über weite Strecken ist Bikeverbot und bessere Menschen als wir halten sich daran.
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