Freitag, 2. September 2011
in sich gehen
Ursprünglich war die Idee meiner Sommereise ja doppeldeutig. Erstens wollte ich mal über längere Zeit alleine Rad fahren und zweitens wollte ich mir auch Zeit nehmen um über mich, meine Lebenssituation und meine Zukunft nachzudenken. Während der Reise ist jedoch der zweite Aspekt völlig untergegangen. Nicht dass ich dies nicht bemerkt hätte, doch ich hatte einfach nie die Ruhe und Gelassenheit um irgendwo einmal etwas länger zu bleiben und von physischer auf psychische Aktivität umzustellen. Es ist halt viel einfacher, einem physisch immer gleichen Trott zu folgen, als sich quasi auf das Nichts einzulassen.
Hinzu kommt, dass Velo fahren an sich so ziemlich keine geistigen Anforderungen stellt und man während des Pedalierens viel Zeit hat um Gedanken nachzuhängen. Ich redete mir also ein, dass ich so quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlage. Ich fahre und gehe gleichzeitig in mich. Was natürlich Quatsch ist und so in der Realität nicht funktioniert. Auch wenn Velo fahren nur wenig Geist beansprucht, so absorbiert einem die ganze Szenerie doch so stark, dass man sich nicht nebenbei "voll" auf sich konzentrieren kann. Das habe ich schon auch bemerkt.
Dann kam irgendwann der Zeitpunkt wo ich dachte, den "in sich gehen" Teil verschiebe ich auf die Zeit nach meiner Rückkehr. Zuhause habe ich alle Ressourcen und brauche mich am wenigsten um andere Dinge zu kümmern. Oder wenn, so weiss ich zuhause meist einfach und schnell, wie sich "Dinge" erledigen lassen. Soweit ein guter Plan.
Nun bin ich seit dreieinhalb Wochen wieder da und bin noch keine Spur von in mich gegangen. Im Gegenteil. Ich verstrickte mich sofort in viele kleine Äusserlichkeiten und kompensierte möglichst jeden Verzicht, den ich in den Wochen zuvor verspürte. Ich zündete ein kleines Feuerwerk an Aktivitäten und versuchte somit wohl auch dem Moment der Ruhe und der Sammlung aus dem Weg zu gehen.
Wie durch Geisterhand verzögerten sich nun aber fast alle diese Projekte. Die Gärtner haben keine Zeit, die Baumaterialien für das Gartenhaus haben Lieferfristen und auch sonst sind ein paar angerissene Ideen ins Stocken geraten. Was mich anfänglich etwas ärgerte, sehe ich mittlerweile eher als versteckten Wink des Schicksals um wirklich einmal inne zu halten und wirklich in mich zu gehen. Ich komme persönlich nämlich nicht weiter, wenn ich einfach so weiter mache wie bisher oder wie vor der Reise.
Natürlich geniesse ich die momentane Situation, dass ich nicht meinem bisherigen Berufsalltag nachgehen muss und über einen nahezu maximalen Freiheitsgrad verfüge. Freiheit bedeutet aber auch die Verantwortung dafür, dass man sie nutzt und nicht einfach nur die Zeit verplämpert. Es interessiert nicht mehr die Freiheit "wovon", denn es gilt nun herauszufinden, "wofür" die Freiheit genutzt werden soll. Dieses "wofür" ist jedoch mein wunder Punkt.
Schon seit zwanzig Jahren stelle ich mir die Frage, was denn mir und meinem ganz persönlichen Glück besser entsprechen würde als das, was ich bisher tat. Weil ich bis anhin darauf keine (mich erfüllende) Antwort finden konnte, reduzierte ich mein berufliches Engagement auf den Faktor Broterwerb. Das hat gesellschaftlich und finanziell recht gut geklappt, doch irgendwie bin ich mir selbst dabei abhanden gekommen. Ich fühlte mich zusehens eingesperrt in einen Alltag den ich nicht liebte und deshalb nicht mit dem Herzen bei der Sache war.
Nachdem mich die Umstände nun aus dieser Situation befreit hatten, genoss ich während der zweimonatigen Sommerreise diese Freiheit. Nun war ich frei von... Das alte Berufsleben ist nun wirklich abgestreift. Mit 48 Jahren hoffe ich doch sehr, dass ich noch eine ganze Menge Leben vor mir habe und diese Zeit möchte ich nun wirklich so einsetzten, dass es für mich persönlich stimmt. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass ich so zu einem authentischeren Leben finden kann und dies hätte für alle positive Auswirkungen. Ich wäre zufriedener und ausgeglichener, was sich auch positiv auf meine Mitmenschen auswirken würde. Es wäre also für alle besser, wenn ich meine nächste berufliche Tätigkeit gemäss meinen inneren Neigungen und Bedürfnissen wählen würde und nicht nach Verdienst, Ansehen, Kosten/Nutzen.
Vermutlich schrieb ich dies schon früher in meinem Blog: "Leider" habe ich keine hervorstehenden Talente oder eindeutige Neigungen. Es gibt nichts wovon ich denke: "Das wollte ich schon immer machen! Nun mache ich es endlich!" Ich weiss nur, dass ich mich bisher nie wirklich wohlfühlte indem, was ich tat.
Nun stelle ich aber auch eine gegenläufige Tendenz fest. Es gibt Zukunftsangst und Gedanken von Resignation. Davon, dass ich kaum glaube, dass mir mein Sinn des Lebens durch etwas Meditation und in-mich-gehen so einfach zufallen wird. Wenn es mir 20 Jahre nicht gedämmert hat, weshalb sollte dies nun in ein paar Wochen oder Monaten der Fall sein? Ausserdem wird es mit der Jobsuche immer schwieriger, je länger ich damit zuwarte. Irgendwie drängt es mich, mich wieder möglichst rasch in einen Berufsalltag einzugliedern und somit mein finanzielles Fundament nicht zu gefährden (und meine Rente sicher zu stellen). Am bisher höchsten Punkt der Freiheit sehne ich mich nach einem nächsten Schuhkarton... Es ist einfacher sich über Mauern zu beklagen als sich auf freiem Feld zu bewegen... Aber es nützt nichts. Es ist mir wichtig. Ich muss da durch.
Bis jetzt habe ich erst eine einzige Bewerbung verschickt, für einen Job, der rein gar nichts mit dem zu tun hat, was ich bisher machte. Etwas ganz Anderes. Kein Büro, kein PC, keine Planung, keine Projektleitung. Eine Arbeit die Aufmerksamkeit fordert und sinnvoll ist. Der sich einfach erschliessende Nutzen der Tätigkeit ist das, was mich reizt. Natürlich bin ich gespannt, ob sich daraus wirklich etwas entwickelt. Ich weiss nicht, ob dies mein Traumberuf werden wird aber es war bisher die einzige realistische Idee, die viele meiner Kriterien erfüllt. Hier im Internet werde ich jedoch erst nach einer gefällten Entscheidung verraten, worum es geht.
In der Zwischenzeit muss ich wirklich versuchen, den Fokus von "Aussen" auf "Innen" zu verlegen und meine inneren Fühler wieder wachsen lassen. Nur so kann ich mir, meiner Begabung und Einzigartigkeit auf die Spur kommen. Erst wenn ich diese erkannt habe und ausleben kann, kann ich zur vollen Blüte kommen und somit mein Leben und das Leben meiner Mitmenschen bereichern.
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