Montag, 5. Oktober 2020
Experten und Ratgeber
In den letzten Jahren boomt alles, was irgendwie als Ratgeber daherkommt. Und nicht erst seit Corona schiessen überall und zu jedem Thema irgendwelche Experten aus dem Kraut. Es gibt wohl keinen Lebensbereich, den uns nicht irgendwelche Koryphäen erklären können und uns gute Ratschläge mit auf den Weg geben. Das langweilt mich immer mehr (um nicht zu sagen, dass es mich oftmals nervt).
Selbst Blogs müssen heute wohl eine Aussage, eine Message, transportieren. Es reicht nicht mehr, einfach etwas zu erzählen. Es muss analysiert werden und daraus müssen Erkenntisse gewonnen werden, die man anderen als wertvolle Tipps mit auf den Weg geben kann. Alles braucht einen Mehrwert und allzu Viele glauben heute, dass genau sie diesen Mehrwert zur Verfügung stellen können oder sogar müssen. Na ja, sie können es schon, doch wen interessierts? Ja, das ist oftmals das Tragische: Nur weil sie mal nicht in die Scheisse getretten sind, erteilen sie nun Ratschläge, wie man um Misthaufen einen Bogen macht. Völlig unnötig!
Ich kann die 10 besten Tipps für XYZ, oder die häufigsten Anfängerfehler oder dos and don'ts einfach nicht mehr lesen. Es erniedrigt mich in der Form, dass es mir die Fähigkeit abspricht, selbst zu denken und selbst Erfahrungen und Erkenntnisse zu gewinnen. Es gibt mir das Gefühl, dass ich dauernd hilfsbedürftig bin und ohne all die guten Ratschläge wohl sofort sterben würde.
Mich dünkt, dieses Expertentum hat seit dem Internet, seit Blogs und vor allem seit Social Media extrem zugenommen. Es dominiert die Ansicht, dass nur Aussergewöhnliches gelesen (oder angesehen) wird und dass dieses Aussergewöhnliche für alle erreichbar sein soll. Indem man Tipps gibt, Rankings erstellt oder Ratschläge erteilt, erhebt man sich über den dummen Leser. Denn dieser wäre ja zu doof um selbst herauszufinden, wie er da hinkommt oder (meist) wo man es kaufen kann.
Ein unschöner Nebeneffekt ist, dass das Aussergewöhnliche bald gewöhnlich wird und das neu Aussergewöhnliche, ist aus vorheriger Sicht dann schon bald das Extreme. So waren als Beispiel vor 20 Jahren Tattoos noch aussergewöhnlich. Heute unterstreicht jeder seine Einzigartigkeit mit irgendwelchen Tätowierungen und merkt dabei nicht, wie gewöhnlich das geworden ist. Es gibt bestimmt unzählige Rankings und Listen über die schönsten Tattoos, an was man denken und welche Fehler man vermeiden sollte...
Ich sehne mich nach alltäglichen Geschichten, die zum Schluss nicht noch platt gewalzt werden um irgendwie Sinn zu geben oder eben einen (zweifelhaften) Mehrwert zu finden. Einfache, offene Geschichten, die im besten Fall die Fantasie anregen oder die man in Gedanken weiterverfolgen kann. Ohne dass mir schon vorher gesagt wird, wo meine Gedanken hinführen sollen.
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Kommentare
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Spoony am :
Tolle Gedanken und wahre Worte, genau der Grund wieso es keine durch SEO Experten optimierte Weblogs braucht.
Aber trotzdem dürfte die harte Zahlenrealität anders aussehen - die 10 Besten XY oder die tollsten Expertentipps generieren dank den Google Lemmingen einfach mehr Klicks.
Beat am :
Du sprichst hier einen wesentlichen Punkt an. Wie Google (oder generell: Suchmaschinen) unsere Art des Denkens beeinflusst.
So lernten wir, nicht einfach nur ein neues Mountainbike zu kaufen, sondern vorher noch Google nach den "10 besten Mountainbikes des Jahres XY" zu fragen. Und weil wir so zu fragen gelernt haben, stellt sich das Marketing auf Anbieterseite genau darauf ein und liefert die entsprechend aufbereiteten Artikel.
Das Bestreben, bei einer Google-Suche auf der ersten Resultatseite zu erscheinen, ist riesig. Dafür ist ein ganzer Markt entstanden und dieser beschäftigt sich vor allem mit Rankings und der Wahl der richtigen Schlagwörter.
Vermutlich muss ich lernen intelligentere Fragen zu stellen. Vielleicht erhalte ich dann weniger Rankings oder Tipps&Tricks als Antwort. 😉